Ostsee Zeitung: “Zürnende Himmelserscheinung”

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“Was der Frühling für die Natur, ist Noa Wildschut für die Musik”

Noa was the artistic director of Festspiele Mecklenburg-Vorpommern 2023 (17-26 March), and also played herself at numerous concerts at the festival.

On 17 March 2023 she performed Schubert’s Trio No. 1 in B-flat major for piano, violin, and cello, D. 898, and Schumann’s Piano Quintet in E-flat major, Op. 44 with Tobias Feldmann (violin), Timothy Ridout (viola), Harriet Krijgh (cello), and Maximilian Kromer (piano), at the opening concert at Marstall in Putbus, Germany.

Reviews in Ostsee Zeitung (20/03/2023):

Musikalisches Frühlingserwachen

Putbus. Was der Frühling für die Natur, ist Noa Wildschut für die Musik. So jung wie nie war das Podium beim „Frühlingserwachen“ im ausverkauften Marstall besetzt – und genauso zart und dennoch mächtig wie der Frühling eroberten die Klänge des Eröffnungskonzerts die Herzen der Gäste. Traditionell bricht der Festspielfrühling, eines der bedeutendsten Klassikfestivals des Landes, mit der Dunkelheit des Winters, die Saison beginnt, ein großes „Hallo“ und Wiedersehen nach den ruhigen Monaten.

Die Intendantin Ursula Haselböck strahlte, als sie über ihre Rückkehr auf die Insel und die Zusammenarbeit mit der 22-jährigen künstlerischen Leiterin der Festspiele berichtete. „Noa hat freie Hand gehabt bei der Auswahl des Programms. So viel Energie und sprühende Kreativität – wir mussten organisatorisch sogar ab und an etwas bremsen“, erzählt die Wienerin. „Sie hätte am liebsten bei jedem Konzert selbst gespielt.“

Antonia Huhndorf fieberte besonders mit. Die 22-Jährige aus Wien ist die Lebensgefährtin von Pianist Maximilian Kromer und glühte förmlich vor Glück und Stolz angesichts der Beifallsstürme nach dem Auftritt. „Es ist so schön zu sehen, mit welcher Freude er hier seine Passion ausleben kann“, sagt sie. „Ich weiß, was er dafür leistet.“ Tägliches, unglaublich fokussiertes Üben über Stunden gehöre dazu, beschreibt sie. „Das ist seine Welt, in die er dann abtaucht.“

Nichtsdestotrotz wirkte der Auftritt leicht, voller Spaß und Leidenschaft. Die Musiker lachten sich während der Stücke sogar zu, Begeisterung und Glück, die sich auch uf das Publikum übertrug. Pure Magie! Die meisten Gäste wirkten wie schockverliebt – in die Musik, ins Leben und das gemeinsame Erleben.

„Was ist Leben ohne Musik?“, fasste der Ehrenvorsitzender des Festspiele-Aufsichtsrats Horst Klinkmann zusammen. Seit 30 Jahren begleite er die Festspiele nun schon, jedes einzelne Mal sei es schön. „Ich spiele selbst kein Instrument, bin aber der Meinung, dass Musik das höchste Kulturgut der Menschheit ist“, sagt er. „Musik ist für das Verstehen, das Verständnis untereinander so notwendig. Wenn es mehr Musik gäbe, gäbe es auch weniger gefährliche Missverständnisse.“

Ähnlich emotional reagierte Peter Schwarz, Chef des Selliner Cliff-Hotels. „In einer Welt aus Musikern gäbe es keine Kriege“, ist er überzeugt. Sein Haus ist in dieser Festspielwoche auch Heimstatt vieler Künstler, dementsprechend gut kann er die Wirkung beurteilen. „Durch jeden Türspalt kommt Musik, es wird geprobt, gelacht und gespielt“, beschreibt er den positiven Ausnahmezustand. „Das ist eine ganz besondere Atmosphäre in dieser Zeit. Für alle Gäste im Haus.“ Allüren hätten die jungen Musiker übrigens überhaupt nicht. „Sehr angenehm und wahnsinnig freundlich“, sein Urteil.

Sein Festspielprogramm stellt er sich kurzfristig zusammen. „Der Tangoabend muss sein“, so Peter Schwarz. „Ich tanze schließlich selbst leidenschaftlich schlecht Tango.“ Ebenfalls ein Favorit auf dem Zettel vieler Gäste: „Der Abend mit Nils Landgren in der Nordperdhalle“, so die Putbusser Bürgermeisterin Beatrix Wilke. „Da freue ich mich jetzt schon drauf.“ Aber auch in sonst nicht zugänglichen Orten auf der Insel tönen die Klänge. „In den Stubnitz-Lichtspielen natürlich“, so der Sassnitzer Bürgermeister Leon Kräusche, der mit seiner Frau Kerstin, Martin Schwarz und Anja Sacher aus Sassnitz plauderte. „Ich hoffe auch, dass wir bei der Gelegenheit erfahren, wann es endlich mit der Sanierung los geht.“

Die Zeit der Festspiele sei für ihn stets wie eine eigene Zeit im Jahr, meint hingegen Till Jaich, der in seinen 22 schwimmenden Häusern „im Jaich“ ebenfalls viele Teammitglieder der Festspiele beherbergt. „Ich höre vielfältige Musik und versuche, immer so viele Konzerte wie möglich beim Festspielfrühling mitzunehmen“, beschreibt er. „Dann bin ich erst mal wieder aufgeladen mit Klassik. Und dann kann man auch wieder Tanzen im La Grange.“

Noa hat freie Hand gehabt bei der Auswahl des Programms. Sie hätte am liebsten bei jedem Konzert selbst gespielt.

Ursula Haselböck, intendantin der festspiele MV

Für mich ist das erste Mal, dass ich hier im Marstall ein klassisches Konzert höre, und es hat mich in diesem Ambiente absolut begeistert.

Nicole Wegener, Besucherin aus Putbus

Was ist Leben ohne Musik? Ich spiele selbst kein Instrument, bin aber der Meinung, dass Musik das höchste Kulturgut der Menschheit ist.

Horst Klinkmann, Ehrenvorsitzender Festspiele-Aufsichtsrat
Anne Ziebarth

„Zürnende Himmelserscheinung“ zum Niederknien

Die Erwartungen an die künstlerische Leiterin Noa Wildschut waren hoch / Schubert und Schumann standen in Putbus auf dem Programm

Putbus. Musikalisch hatte man natürlich wieder keine Mühen gescheut, um der Festwochen-Eröffnung auf Rügen repräsentativen Glanz zu verleihen. Angesichts hochkarätiger Interpreten und einem klassisch-romantischen Programm von bereits kultischem Standard musste das geradezu zwangsläufig auch gelingen: mit der holländischen Geigerin und diesjährigen Künstlerischen Leiterin Noa Wildschut, ihrem deutschen Instrumentalkollegen Tobias Feldmann (Violine), dem britischen Bratscher Timothy Ridout, einer bereits bestens bekannten holländischen Festspielgröße am Violoncello, Harriet Krijgh, sowie dem deutschen Pianisten Maximilian Kromer.

Und dann das Programm! Die Werke bestens bekannt und im Festspiele-Repertoire längst „zu Hause“, aber dennoch von stets neuem Interesse; als jeweils individuelle, nicht selten überraschende künstlerische Leistung. Hier ist die Rede von Franz Schuberts „Premier grand Trio“ B-Dur op. 99 für Violine, Violoncello und Klavier (1827) und Robert Schumanns Quintett Es-Dur op. 44 für 2 Violinen, Viola, Violoncello und Klavier (1842). Beides sind Stücke mit ganz eigener Bedeutung für die jeweilige Gattung: Schuberts Trio gilt als schon fast ins Romantische reichender Tabu-Brecher für die von Beethoven programmatisch ausgeprägte Musizierform des Klaviertrios. Und Schumanns Werk gar als in schwärmerischem Schaffensrausch entstandenes und die Gattung eigentlich begründendes Klavierquintett.

Was für künstlerische Horizonte – und was für gestalterisch, geradezu provokant, so reichhaltige wie ergebnisoffene Betätigungsfelder für alle jene, die sich an ihnen messen! Und – jawohl – gestalterisch abarbeiten! So wie nun in Putbus, wo es den Interpreten sehr überzeugend gelang, genau dies als durchgängig mitreißendes Hörvergnügen erlebbar zu machen.

Schuberts alles Beliebige konterkarierende „zürnende Himmelserscheinung“ – so Schumanns prägnante, zugleich poetische Bezeichnung – war denn auch so zielsicher wie differenziert getroffen: zum Niederknien im schwelgerisch Melodischen, sinfonische Wucht und faszinierende Stringenz nicht aussparend; von klassischer Transparenz, beeindruckender Kontrastschärfe und einer packenden „Redegewalt“: Ein Schubert zwischen zartester Intimität und sinfonischem Anspruch; eine Musik von größter Aussagekraft und -intensität!

Zu danken einem Trio (Wildschut/Krijgh/Kromer), das sich dann gemeinsam mit den beiden anderen Interpreten für Schumann einsetzte. Und mit ihm neue künstlerische Höhen erstürmte! Nicht übertrieben! Dieses op. 44 geriet zur Sternstunde, zu einem Klanggemälde von unglaublicher Farbigkeit und differenziertester Gefühlshaftigkeit: Leidenschaftlichkeit in und mit jedem Ton, stets spontan wirkende Ursprünglichkeit, enorme Vitalität, sichtliche Gestaltungsfreude, ja obsessive Besessenheit und ein hinreißender Musiziergestus, der einem fast den Atem nahm. Für tosende Beifallsstürme hatte ein enthusiasmiertes Publikum dann aber doch noch ausreichende Reserven! Ein Auftakt nach Maß, ein nahezu eruptives „Frühlingserwachen“. Und Garantie für weitere großartige Erlebnisse.

Ekkehard Ochs

Source: https://www.ostsee-zeitung.de/