Donaukurier: “Wild, wilder, Wildschut”

AmirAcclaim, News

On 17 November 2022 Noa performed Beethoven’s Violin Sonata No. 9 in A major, Op. 47 ‘Kreutzer Sonata’ with the Georgische Kammerorchester (Georgian Chamber Orchestra), conducted by Ariel Zuckermann, at Stadttheater Ingolstadt in Ingolstadt, Germany.

Review in Donaukurier (19/11/2022)

Die Geigerin und das GKO boten eine faszinierende Darstellung von Beethovens „Kreutzer-Sonate“

Ingolstadt – Ist das alles ein Missverständnis? Hätte Ludwig van Beethoven lieber noch ein weiteres Violinkonzert schreiben sollen anstelle dieser überdimensionalen, viel zu schweren, zu anstrengenden, zu langen Violinsonate op. 47, der sogenannten „Kreutzer-Sonate“? Ist diese Partitur nicht ohnehin viel zu grandios, leidenschaftlich und pathetisch, um sie lediglich kammermusikalisch zu deuten?

Nun, der Gedanke ist es wert, weiter verfolgt zu werden. So existieren tatsächlich mehrere Bearbeitungen des Stücks für größere Ensembles. Auch der Australier Richard Tognebbi hat das Stück zu einer Art Violinkonzert umgestaltet, eine Version, die nun das Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann zusammen mit der niederländischen Geigerin Noa Wildschut auf die Bühne des Ingolstädter Festsaals brachte.

Allerdings, das stellte sich nach wenigen Takten heraus, ist es ein Irrtum, davon auszugehen, dass die neue Besetzung alle Probleme dieser gewaltigen Sonate beseitigen würde, dass sie nun leicht zu bewältigen wäre, dass seine ungestüme Wildheit gebändigt würde. Eher das Gegenteil ist der Fall. Man hat sogar den Eindruck, als wenn diese Bearbeitung den Notentext noch radikaler auslegt – und so haben ihn offenbar auch die Geigerin und Ariel Zuckermann verstanden.

Die „Kreutzer-Sonate“ ist als Werk für Klavier und Violine für beide Interpreten eine totale Überforderung – und das gleiche gilt fast noch mehr für die Orchesterfassung. Das kadenzartige Einleitungs-Adagio ist noch wie die Ruhe vor dem Sturm, danach scheinen sich Geige und Orchester im Presto völlig entfesselt gegenseitig zu jagen, der Furor könnte kaum größer sein. Und Noa Wildschut und das GKO stellen sich dieser Herausforderung, geben alles an Intensität, was überhaupt denkbar ist, winden sich mit höchstem Engagement durch die vielen, eigentlich unspielbaren Passagen.

Für die erst 21-jährige Geigerin allerdings scheint das alles nicht wirklich anstrengend zu sein, sondern vor allem ein großer Spaß. Ständig scheint sie mit dem Orchester zu flirten, sie tänzelt zwischen dem Dirigenten und den Musikern hin und her, spielt ihnen zu, als würde sie mit ihnen sprechen, und lässt dabei die Saiten ihres Instruments glühen. Immer wieder stehen einzelne Instrumente des Orchesters der Geigerin solistisch gegenüber, im zweiten Satz entspinnt sich in manchen Variationen ein spannender Dialog mit der Konzertmeisterin des Orchesters. Das alles sprengt eigentlich jeden Rahmen, auch den Rahmen eines Violinkonzerts. Und doch ist es gerade dadurch eine fantastische Demonstration, ein alle Grenzen überwindender musikalischer Kraftakt – einfach ein Ereignis. Das natürlich hinterher vom Publikum mit Bravorufen gefeiert wurde. Es ist sehr selten, dass Musiker in einem klassischen Konzert ein derartiges Feuer der Leidenschaft zu entfachen vermögen.

Die Geigerin bedankte sich hinterher mit einem Solostück von Astor Piazzolla als Zugabe – und unterstrich damit noch einmal, was für eine draufgängerische Künstlerin sie ist, die wirklich in jedem Takt alles gibt – und sei es, dass sie mit den Füßen stampft.

Leicht könnte man annehmen, dass alle anderen Werk des Abends hinter dem blendenden Ereignis der Beethoven-Sonate in den Halbschatten der Mittelmäßigkeit zurückfallen müssten. Aber das war nicht der Fall. Ariel Zuckermann und das Georgische Kammerorchester spielten auch die kleinen Werke von Franz Schreker (1878-1934) und die wunderbaren „Variations on a Theme of Frank Bridge“ von Benjamin Britten (19131976) mit großem inneren Einsatz – vor allem, indem sie die sehr unterschiedlichen Stimmungen dieser Charakterstücke fein herausarbeiteten. Alles übertraf aber die Zugabe, der „Kleine Wiener Marsch“ von Fritz Kreisler. Die Musiker spielten sich völlig frei, als würden sie die Töne gerade erfinden und hätten keine Noten vor sich liegen. Ein unvergessliches Konzert. Besser geht es nicht.

Jesko Schulze-Reimpell (DK)

Click here to download the review as PDF.

Source: https://epaper.donaukurier.de/epaper/2608/19.11.2022